13. September 1997
Münchener Merkur,
Kultur.
Malve Gradinger
HAMLET, HEINER, HOF, HELNWEIN
Münchener Muffathallen-Produktion und die Geschichte eines Bildes und einer
Witwe. Finis eines gefährlich-absurden post(?)-faschistischen Vorspiels:
Ingeborg Wünsche. Witwe eines SS-Mannes, hat von den angedrohten juristischen
Schritten gegen Gottfried Helnweins "SS-Gruppenbild mit Madonna und Kind"
(wir berichteten) schließlich abgesehen...
Finis eines gefährlich-absurden post(?)-faschistischen Vorspiels: Ingeborg
Wünsche. Witwe eines SS-Mannes, hat von den angedrohten juristischen Schritten
gegen Gottfried Helnweins "SS-Gruppenbild mit Madonna und Kind" (wir
berichteten) schließlich abgesehen.
In einen dreißigseitigen "Brief an die Menschlichkeit" der Münchener
Muffathallen-Produzenten appellierend, bat sie jedoch um Entfernung des fotorealistischen
Gemäldes (links vorne SS-Standartenführer und Hitlers persönlicher
Adjutant Max Wünsche, im Brief von der Witwe plötzlich zurückgestuft
zum jungen, unbedarften Frontsoldaten) aus Gerd Hofs Inszenierung "Hamletmaschine".
Schon wegen dieser in der Öffentlichkeit bekannt gewordenen furchtbaren
deutschen Verdrängung war die "Hamletmaschine" (noch heute 20.30
Uhr) natürlich mit der kompletten Ausstattung des Wiener Malers ungeheuer
wichtig. Und Hof und Helnwein haben da mit der trommelnden "Gewalt-Maschine"
der französischen Kultband Tambours du Bronx vor allem etwas beim jüngeren
Publikum aufgerissen, das am Ende jubelte.
Tatsächlich, wenn diese 14 Kraftwerke, hinten oder seitlich wie in kleinen
Käfigen, ihre schweren Holzschlegel auf die Ölfässer sausen lassen,
wird der große, nackte, düstere Raum zu einem unentrinnbaren Ort
der Gesichts- und Gefühllosigkeit, der hirnlosen Gewalt und Gefangenschaft.
Ralf Richter röhrt seine Texte heraus wie ein angeschossener Hirsch. Und
es ist eindrucksvolles Theater, wenn er mit Gunter Seidler nach vorn kommt,
mit dem Text: "Aus dem Ruf nach mehr Freiheit wird der Schrei nach dem
Sturz der Regierung".
Da fühlt man endlich - und vielleicht das einzigste Mal -, was man sich
erhofft hatte bei Gerd Hof, ein Mann, der aus seiner eigenen geknebelten DDR-Vergangenheit
(eineinhalb Jahre Einzelhaft, Stasi-Beobachtung) heraus inszeniert: endlich
eine Reaktion in den Eingeweiden.
Kühl im Kopf bleibt man bei dem bluttriefenden Muttermord zu Beginn, bei
Claudia Denninghaus' Ophelia Requiem, kühl, wenn auch feinhörig, bei
dem Opheliatext, ikonenhaft schön gesprochen von Caspar Brötzmann,
sonst der Höllenhund an einer wütenden Gitarre, die verstärkt
den Weltuntergang anzukündigen scheint.
Während Helnweins "Zertrümmert-trübes Auge" - Gert
Hofs blind geschlagenes Auge - in blutrotem Licht anklagend an der Rückwand
dämmert. So viele grandiose und auch treffende Bilder: Hamlet, hoch oben
aufgehängt, zerstäubt, aufgelöst in einem Lichtgewitter. Das
Schluß-SS-Gruppenbild, vor dem dann ein sich ausziehendes Kind uns einreiht
in die möglichen neuen Täter, die "arisch Augenmaß nehmen".
Gert Hof wollte eine antiintellektuelle Inszenierung. Aber Müllers "Hamletmaschine"
ist wohl doch eine "Denkmaschine". Wenn wir jetzt nachdenken, ist
das ja auch schon viel.
Schlächter und Bilder - Helnweins Erklärung gegenüber Wünsche
Gottfried Helnwein zu den zunächst angedrohten juristischen Schritten von
Ingeborg Wünsche, Witwe eines SS-Mannes: "Ich habe mich daran gewöhnt,
daß es Leute gibt, die sich nicht daran gewöhnen können, daß
die Reichskulturkammer abgeschafft ist.
"Die Dame kann gar nicht anders empfinden, denn ihr Mann hat als Belohnung
dafür, daß er die rechte Hand des Führers war, nach dem Krieg
eine großartige Karriere gemacht in der Industrie. Deswegen hat sie auch
gesagt, die ganze Industrie stünde hinter ihr.
"Die kann gar nicht anders reagieren. Die Leute sind danach belohnt worden.
Juristen wurden frei gesprochen, Richter für die Serientodesurteile. Viele
Ärzte, die Schlächter waren, haben nachher großartige Karrieren
gemacht.
"Wenn ich mir vorstelle, dass Herrn Mengele mit Hilfe des Roten Kreuzes
und der katholischen Kirche die Flucht ermöglicht wurde und auch Herrn
Eichmann, dann kann ich eine solche Reaktion auf mein Bild gut nachvollziehen."
http://www.helnwein.com/presse/international_press/artikel_41.html
http://www.helnwein.com/texte/international_texts/artikel_617.html