1998
Klaus Honnef
Curator for Photography and New Media, Rheinisches Landesmuseum, Bonn
Prestel, München, New York
Die Sammlung der DG Bank
DAS VERSPRECHEN DER FOTOGRAFIE
Gottfried Helnwein
Helnweins künstlerische Praxis beruht auf der Erkenntnis der grundsätzlich
unterschiedlichen Seinsformen von Fotografie und Malerei. Einerseits schöpft
er als einer der konsequentesten Multimedia-Künstler überhaupt die
spezifischen Möglichkeiten der jeweils verwendeten Medien bis zu den Grenzen
ihrer Horizonte aus -- neben Fotografie und Malerei die Zeichnung und die Performance
-, spiegelt sie andererseits, aber auch gewissermassen ineinander, so dass sie
sich gegenseitig erhellen und ihre Wirkung steigern.
Mit dem frappierenden Ergebnis, dass seine Aquarelle die leuchtende Tranparenz
von Diapositiven besitzen, obwohl die Duftigkeit der Farben nicht beeinträchtigt
wird, und seine naturalistisch-realistischen Gemälde die Brillianz von
Lichtbildprojektionen, die im handwerklichen Medium nur durch akribische Übertragung
fotografischer Techniken erreichbar ist, und dass seine Fotografien wiederum
die intensive Gegenwärtigkeit von Gemälden erlangen.
Poems, 1996
cibachrome
Sammlung Gruber
Museum Ludwig, Cologne
Beständig bewegen sich seine Bilder zwischen den Polen der Überschärfe
und der Auflösung. Jedes gemalte oder fotografierte Motiv ist Gegenstand
eines Prozesses der Transformation, sei es anschaulich evident in Form von mehrteiligen
Bildern oder Bilderreihen, sei es aber auch innerhalb eines einzigen Bildes.
In dem Falle tritt anstelle eines linearen Verlaufes, anstelle eines kotinuierlichen
Wechsels oder eines Kontrastes, eine Art Verdichtung, als würde sich die
Bewegung in die Bildtiefe verlagern, und unmerklich nimmt in der Wahrnehmung
die Intensität des Bildeindrucks zu.
Angesichts der Porträts spricht der amerikanische Schriftsteller William
S. Burroughs denn auch von ihrer Fähigkeit, "dem Betrachter zu zeigen,
was er weiss, von dem er aber nicht weiss, dass er es weiss ." Die meisten
derjenigen, die Helnwein neben Burroughs porträtiert hat, gehören
zu den tausendfach abgelichteten Protagonisten der Medienwelt. Ihr individuelles
Abbild hat sich längst in ein Image verwandelt - Keith Richards, Mick jagger,
Andy Warhol, Willy Brandt, Norman Mailer und Michael Jackson. Doch in Helnweins
Bildnissen, die er als "Faces" apostrophiert, erscheinen sie, als
wären sie zum ersten mal fotografiert worden. Für einen Moment blitzt
auf, was Walter Benjamin "Aura" nannte. Die empfindung der Simultanität
von Nah und fern. Alles was ein fotografisches Bild festhält, rückt
unweigerlich in die Distanz, eine räumliche wie eine zeitliche, doch durch
technisch perfekte Abzüge und vergrösserungen der fotografischen Negative
sowie besonderer Präsentation hinter Glas in bleifarbenen mächtigen
Rahmen "organisiert" der Künstler förmlich ein Cross-over
der Medien, dessen anschauliche Folge der auratische Charakter der meisten seiner
Bilder ist. Sie machen etwas von dem Phänomen der Gleichzeitigkeit des
Ungleichzeitigen sichtbar.
Helnwein bedient sich auch ästhetischer Erfahrungen des Films und es ist
gut vorstellbar, dass er, der sich durch die häufige Zusammenarbeit mit
Johann Kresnik auf der Bühne auskennt , einmal Filme inszinieren wird.
Auf jedenfall ist er Experte auf diesem Terrain. Deutlicher als in den Fotografischen
"Gesichtslandschaften" wird der filmische Einfluss in der Kombination
von Malerei und Fotografie in "Kinderhand und Kindergesichter". Eine
Serie gleichformatiger Kinderbildnisse in unscharfer Darstellung steht eine
im Riesenformat aufgerichtete Kinderhand gegenüber wiedergegeben im gestochen
scharfen Stil der Fotomalerei, leicht blau getönt, und während die
Fotografien scheinbar Effekte der Malerei nutzen, forciert die Malerei scheinbar
das fotografische Potential über die Möglichkeiten des technischen
Mediums hinaus.
Doch die Unschärfe der fotografischen Bilder entspringt nicht einer spezifischen
Aufnahmetechnik der nicht genau fokusierten Kamera, sondern der Installation
der Bilder, für die der Künstler Milchglas verwendete. Ein Bild wird
im Werk dieses Künstlers zunächst als Bild erfahrbar, als Gegenstand
ästhetischer Reflexionen,die den kulturell vermittelten Kontakt zur Welt
des Gezeigten mittels eines visuellen Schocks unterbricht, um diese desto eindringlicher
zu erfassen. Vielleicht löst seine künstlerische Arbeit deshalb so
viele heftige Reaktionen aus.
http://www.helnwein.com/texte/international_texts/artikel_81.html