04. January 1992
Mittelrhein-Museum, Koblenz
Zur Ausstellung, Teil I
Johannes Rother

DAS KIND IM FOCUS
About Gottfried Helnwein, Teil I

Gottfried Helnwein, 1948 in Wien geboren, gilt als einer der umstrittensten, aber auch bekanntesten bildenden Künstler der Nachkriegszeit.
Das Werk des Malers und Fotografen entzieht sich erfolgreich der erledigenden Einordnung wie auch dem systematisierenden Zugriff offizieller Kunstkritik. Zu vielfältig ist die Bandbreite seiner künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten, zu offensichtlich sind Brüche und Widersprüche, als daß man sein künstlerisches Schaffen auf wenige griffige Schlagworte festlegen könnte: Verweigerung stilistischer Kontinuität und immerwährender Neubeginn sind bei Helnwein Konzept. Im Zentrum seines eigentlichen Interesses steht jedoch - ganz im Sinne der Kunsttheorie Kandinskys - nicht WIE, sondern WAS Kunst transportiert und welche Reaktion sie beim Publikum damit auszulösen in der Lage ist. So manifestiert sich Helnweins künstlerische Qualität vor allem in der vom Sujet auf den Betrachter ausgehenden emotionalen Intensität - unabhängig vom gewählten Stil oder Medium.

Helnwein malt großformatige Aquarelle, Öl- und Acrylbilder, er zeichnet mit Feder und Farbstift, er fotografiert und inszeniert Aktionen und Performances. So vielfältig sich sein Werk dem Betrachter präsentiert, so unterschiedlich sind die Wurzeln seines Schaffens. Helnweins frühe Performances stehen in der Tradition des Wiener Aktionismus. Die besondere Ausdrucksqualität, mit der Helnwein Leid, Schmerz und Tod künstlerisch realisiert, erinnert an die Arbeiten Rudolf Schwarzkoglers oder Arnulf Rainers. Diese Bilder sind bis heute integraler Bestandteil seiner Kunst geblieben.

Ebenso ist Helnweins Schaffen jedoch - und das ist in diesem Zusammenhang das Neue, Ungewöhnliche - durch die Produkte und Mythen amerikanischer Trivialkultur beeinflusst und fasziniert: Donald Duck, Elvis und James Dean haben seine künstlerische Entwicklung entscheidend mitgeprägt. In einem Interview erklärte Helnwein: "Rockmusik, Film und Comicstrips sind die Kunst des 20. Jahrhunderts - elementare Kunstformen, mitreißend, von einer elementaren Kraft und Intensität."

Nicht von ungefähr hat die Fotografie als junges Medium in Helnweins Werk immer schon eine herausragende Stellung eingenommen. Sie diente nicht nur der Dokumentation der Aktionen und Inszenierungen in den 70er Jahren, sondern auch als Ausgangspunkt seiner berühmten hyperrealistischen Plakate und Porträts. Darüber hinaus räumt der Künstler ihr neben der Malerei einen gleichberechtigten Platz als eigenständiges Medium ein.

Die Portraitserie "Faces" (1992) steht dabei stellvertretend für Helnweins Fotografie: Mit scheinbar einfachsten Mitteln - gezeigt wird ausschließlich das Gesicht des Portraitierten, keine Pose, kein Hintergrund, keine Accessoires - wird beim Betrachter Intimität, extreme Nähe erzeugt und die Biografie des fotografierten Menschen in seinem Gesicht lesbar.

Helnweins Thema ist der Mensch. Von Beginn an konzentrierte er sich dabei auf die Darstellung von Kindern als ein innerhalb der Kunstgeschichte eher vernachlässigtes Thema: Meist nur funktionalisiert - im religiösen oder herrschaftspolitischen Kontext - kamen Kinder in der ikonographischen Tradition zur Darstellung. Bei Helnwein jedoch zeigt sich das Kind als Person, die auf der einen Seite Offenheit, unendliche Möglichkeiten und Spontaneität symbolisiert, auf der anderen jedoch Verletzlichkeit und Wehrlosigkeit: Als ursprünglicher, als menschlichster Mensch.

Nach seiner Ausbildung in der Höheren Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien, studierte Gottfried Helnwein von 1969 bis 1973 an der Wiener Akademie der Bildenden Künste. Seit 1985 lebt und arbeitet er in der Nähe von Köln und in den USA. Aus der Vielzahl von Ausstellungen und Aktionen seien hier als wichtige Stationen genannt: Einzelausstellung in der Albertina Wien (1979), Time-Cover mit Helnweins Kennedy-Porträt (1982), Teilnahme an der Ausstellung "Orwell und die Gegenwart" im Museum Moderner Kunst in Wien(1984), Einzelausstellung in der Albertina Wien(1985), Installation "Neunter November Nacht" vor dem Museum Ludwig in Köln (1988), Einzelausstellung "Arbeiten auf Papier" im Museum Folkwang in Essen (1989), Teilnahme an der "Torino Fotografia '89 Biennale Internationale" (1989), Einzelausstellung "Fotografie" im Musee de L'Elysee in Lausanne (1990), Bühnenbild und Kostüme zu "Die Verfolgung und Ermordung von Jean Paul Marats" unter der Regie von Hans Kresnik am Staatstheater Stuttgart (1990), Einzelausstellung "Faces" im Josef Alberts Museum in Bottrop (1993). Aus der umfangreichen Bibliographie von und über Helnwein ist als exemplarisch zu nennen: "Helnwein" (Taschen), "Der Untermensch" (Libro Post Publishing Co. Ltd, Japan), "Faces" (Stemmle), "Malerei muss sein wie Rockmusik" (Beck).

Johannes Rother

 

http://www.helnwein.com/texte/international_texts/artikel_102.html